Nachhaltiges Bauen: Voll auf dem Holzweg

Nachhaltiges Bauen:  Voll auf dem Holzweg

SZ vom 4./5. November 2023 Von Alex Rühle, Stockholm
Willkommen in der Zukunft, genauer in "Stockholm Wood City": Im größten Holzbau-Ensemble der Welt mit insgesamt 30 Gebäuden sollen 7000 Büros und 2000 Wohnungen Platz finden. Foto: White Architekter

Um die Emissionen zu senken, muss dringend anders gebaut werden – so weit die Theorie. Und in der Praxis? Ab nach Schweden, wo man gleich an zwei Großprojekten aus Holz sehen kann, wie es geht.

Eigentlich ja Irrsinn. Man recycelt im Kleinen Joghurtbecher und stellt im Großen von Kohle auf Wind und Sonne um, aber die Baubranche baut immer noch die ganze Welt mit ihrem Zement voll, als würde es keinen Klimawandel geben: Rund 40 Prozent aller Treibhausgase fallen beim Bauen und Wohnen an.

Ein Drittel dieser Emissionen wiederum entsteht bei der Herstellung von Baumaterialien wie Beton oder Dämmstoffen sowie beim Bau und der Sanierung von Gebäuden. Allein Zement ist für acht Prozent der weltweiten CO-Emissionen verantwortlich.

Insofern übertrieb Hans Joachim Schellnhuber, der ehemalige Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam, auch nicht, als er vor zwei Wochen beim Architekturforum in Freiburg sagte, das "Schicksal der Erde" entscheide sich "in der Stadtentwicklung". Er rechnete in seinem Eröffnungsvortrag vor, dass 2100 voraussichtlich 80 Prozent der Menschheit in Städten leben werden - in Gebäuden, die ja größtenteils noch gar nicht existieren. Deutschland plant allein für das kommende Jahr laut Bauministerium 400 000 neue Wohnungen.

Wenn man die Emissionen drastisch reduzieren will, was ja angesichts der Erderwärmung dringendst geboten ist, wird man gar nicht anders können, als das Bauen komplett zu verändern. Schellnhuber sah in seinem Vortrag die einzige Chance darin, soweit irgend möglich von Zement auf Holz umzusteigen. Nach seiner Rechnung werden rund 70 Gigatonnen CO emittiert, wenn die weltweit neu zu bauenden Häuser bis 2100 zu 90 Prozent aus Beton und zu zehn Prozent aus Holz gefertigt werden. Baue man dagegen zu 90 Prozent aus Holz und nur zu zehn Prozent aus Beton, entnimmt man der Atmosphäre 75 Gigatonnen CO, weil man das Treibhausgas weiterhin im Holz speichere.

Nun sind die Wälder ohnehin übernutzt, man produziert aus dem gerodeten Holz Bretter, Papier, Pellets und vieles mehr. Und man bräuchte, sollten nach Schellnhubers Forderung tatsächlich 90 Prozent der Weltbevölkerung zukünftig in Holzhäusern leben, ungefähr dreimal so viel Wald, wie es momentan weltweit gibt. Aber momentan geht es ja erst mal darum zu beweisen, dass großformatiges Bauen mit Holz überhaupt möglich ist.

Und damit nach Schweden, genauer gesagt nach Sickla, an den östlichen Stadtrand von Stockholm: Hier besitzt die Immobilienfirma Atrium Ljungberg ein riesiges Gebiet. Noch sieht alles recht herkömmlich aus: ehemalige Fabrikhallen, Parkplätze und ein paar zerstreute Gebäude, eingefasst von Einkaufsmalls, kompakten Bürogebäuden und einer Bahntrasse. Aber bald soll das bisherige Baugerümpel verschwinden, auf dass hier sehr viel Holz in die Höhe wachsen möge. Nicht in Form eines Waldes, sondern als neuer Stadtteil: "Stockholm Wood City", das größte Holzbau-Ensemble der Welt, 30 Gebäude, verteilt auf 25 Blöcke, jeweils fünf bis sieben Stockwerke hoch, insgesamt sind 250 000 Quadratmeter Büro- und Wohnfläche geplant.

"Das Ganze hat aber nichts mit Askese oder Verzicht zu tun"

"Das wird ähnlich dicht bebaut wie andere Geschäftsviertel", sagt Annica Ånäs, die gemeinsam mit ihrem Geschäftsführungskollegen Linus Kjellberg vor einem riesigen Modell des Geländes steht. Die Holzgebäude, mit deren Bau 2025 begonnen werden soll, stechen darin als weiß leuchtende Blöcke heraus. Insgesamt sollen darin mal 7000 Büros und 2000 Wohnungen Platz finden.

Auf die Frage, warum sie das Ganze aus Holz bauen, sagen Ånäs und Kjellberg ähnliche Sätze wie Schellnhuber, der ökologische Fußabdruck der Bauindustrie sei viel zu groß, die Baubranche müsse endlich umdenken, ihr Unternehmen habe das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, so Kjellberg.

"Das Ganze hat aber nichts mit Askese oder Verzicht zu tun", so Ånäs. "Im Gegenteil, man wird sich darin vielleicht wohler fühlen als in herkömmlichen Betonräumen, Holz ist einfach extrem angenehm als Umgebungsmaterial." Dementsprechend sieht das ganze Ensemble auf den PR-Videos, die natürlich bislang nur Fantasieräume zeigen, so lichtdurchflutet, hell und leicht aus, als würde das ganze Viertel schweben.

Dass die Stadt Stockholm den Plänen sehr aufgeschlossen gegenübersteht, kann man schon daraus ersehen, dass sie einen eigenen U-Bahnhof für Sickla planen.

Nun ist die Stockholm Wood City bislang nur Versprechen und Modell, und da kann man ja alles Mögliche behaupten. Knapp 800 Kilometer weiter nördlich aber, in Skellefteå, kurz unterm Polarkreis, wurde im vergangenen Jahr der Beweis erbracht, dass man mit Holz mittlerweile bis in 80 Meter Höhe bauen kann.

Das Sara Kulturhus im Zentrum der Kleinstadt ist nach dem 85 Meter hohen Mjøstårnet im norwegischen Brumunddal das höchste Holzhochhaus der Welt. Außenrum stehen mehrere vierstöckige Würfel, in denen mehrere städtische Galerieräume, ein Theater mit mehreren Bühnen und die Stadtbibliothek untergebracht sind. Aus der Mitte dieser kompakten Blöcke aber ragt ein 20-stöckiger Hotelturm empor, 205 Zimmer, dazu Restaurant und Café, ein Fitnessstudio mit Wellnessbereich sowie Tagungsräume.

Geht doch: In der Kleinstadt Skellefteå, kurz unterm Polarkreis, steht das 80 Meter hohe "Sara Kulturhus" - das zweithöchste Holzhochhaus der Welt.

Hätte man noch vor 20 Jahren für solch eine Konstruktion im Kern Beton und Stahl zur Aussteifung verwenden müssen, um das Ganze dann von außen mit Paneelen aufzuhübschen, so konnte man in Skellefteå tatsächlich fast ausschließlich organisch bauen, sogar die Aufzugsschächte und die Wände der Fluchttreppenhäuser bestehen aus laminierten Hölzern. Das verwendete Holz stammt aus den umliegenden Wäldern, auch beim Transport fielen somit viel weniger Emissionen an, als wenn man Zement herangekarrt hätte.

Die meisten Teile werden vorgefertigt und am Ort nur noch zusammengefügt

Als wir in den Büroräumen von Atrium Ljungberg über dieses Bauwunder im hohen Norden sprechen, unterbricht Kjellberg einmal kurz und sagt, eines müsse er doch korrigieren: "Sie haben gerade von organischem Bauen gesprochen. Das Holz, das bei solchen Gebäuden verwendet wird, hat nichts mit den einfachen Brettern zu tun, aus dem Sie beispielsweise eine Hütte bauen würden." Ah, sondern? "Das ist vielschichtig laminiert, Sie haben also viele dünne Lagen, die über Kreuz verleimt werden. Nur so erhält das seine enorme Stabilität." Diese laminierten Hölzer sind allein schon aufgrund ihrer enorm hohen Dichte auch feuerresistent: Sollte es mal brennen, wird nur die Oberfläche verkohlt, die dann die inneren Schichten vor der Hitze schützt.

Das mit dem Transport aus umliegenden Wäldern wird bei der Wood City ähnlich sein wie in Skellefteå, so Kjellberg, "wir planen möglichst kurze Wege für das Bauholz ein". Seine Kollegin Ånäs ergänzt, dass man ja auch beim Transport zur Baustelle weniger Treibstoff verbrauche, weil Holz nun mal sehr viel leichter ist als Zement. Hans Joachim Schellnhuber hätte wahrscheinlich seine helle Freude an diesem Projekt, führte er doch in Freiburg aus, dass beim Bau eines typischen Einfamilienhauses mit Massivholz allein im Herstellungsprozess etwa 60 bis 70 Tonnen CO₂ eingespart werden können. Die Einsparungen gehen noch weiter: Atrium Ljungberg wird viele der Holzgebäude ganz konventionell mit Tiefgaragen unterkellern, die zwar aus Zement bestehen werden, so wie herkömmliche Gebäude auch. "Aber wir müssen viel weniger Material verwenden, weil die Traglast aus dem Holz oben drüber ja sehr viel leichter ausfallen wird als bei einem konventionellen Gebäude", so Kjellberg.

Außerdem kann man bei Holzbauweise in einer Art Klick-Klack-Lego-Prinzip bauen: "Die meisten Teile werden vorgefertigt und am jeweiligen Ort nur noch zusammengefügt", so Kjellberg. Das spare nicht nur Energie, sondern auch Zeit, bedeute weniger Lärm- und Staubbelastung und sehr viel weniger Baustellenabfälle, so Kjellberg. Die 205 Hotelzimmerkuben für den Turm von Skellefteå wurden ebenfalls vorab gefertigt und vor Ort nur noch zusammengefügt. Dadurch wird es, wenn es erst mal losgeht mit dem Bau, auch recht schnell gehen, die Häuser hier hinzustellen. Die ersten Gebäude sollen 2027 bezugsfertig sein.

Auf dem Heimweg mit dem Fahrrad ging es dann vorbei an zwei herkömmlichen Großbaustellen, aus denen dichter Betonstaub quoll und ein panzergroßer Zementlaster geschossen kam, der um Haaresbreite den radelnden Reporter überfahren hätte. Höchste Zeit, dass sie hier eine neue Ära einläuten.
 

"Roots": In der Hamburger Hafencity entsteht höchstes Holzhaus Deutschlands

65 Meter hoch soll das Holzhaus in der Hamburger Hafencity werden und durch das organische Material klimaneutral sein.

Heise Online vom 13.09.2021 19:05 Uhr Von Oliver Bünte

In der Hamburger Hafencity wurde am Montag der Grundstein für ein 65 Meter hohes Haus mit 18 Stockwerken gelegt, dass weitgehend aus Holz aufgebaut ist. Lediglich der Sockel, untere Geschosse und das Treppenhaus des Hauses sollen aus Beton bestehen. Die Fertigstellung ist für 2023 geplant.

Bereits seit November 2020 laufen die ersten Bauarbeiten an dem Projekt nahe der Elbbrücken. Zunächst war es unter dem Namen "Wildspitze" begonnen worden, wurde dann aber in "Roots" umgetauft, um es besser international vermarkten zu können, wie es beim NDR heißt. Das Fundament besteht aus Beton. Es soll allerdings deutlich dünner ausfallen, als solche bei ähnlichen Häusern gleicher Größe in konventioneller Bauweise.

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Klimaneutral bauen

Hinter der Idee steckt die Überlegung, ein so großes Gebäude mit Holz klimaneutral errichten zu können. Ganz billig ist das jedoch nicht: Das Holzhaus mit seinen 181 Wohnungen wird etwa 12 Prozent teurer als ein Gebäude in herkömmlicher Bauweise werden. Wenn das ausreicht. Denn Holz ist ein knapper und entsprechend begehrter Baustoff auf dem Weltmarkt. Die USA und China kaufen derzeit Unmengen an Holz aus Deutschland zu hohen Preisen auf. Preise, die in Deutschland kaum jemand bereit zu zahlen ist. Etwa 5500 Kubilkmeter Bauholz werden für das Haus für Decken, Wände und Fassade benötigt. Insgesamt sei für das Holzhaus eine Investition von 140 Millionen Euro veranschlagt.

Hamburgs Oberbürgermeister Peter Tschentscher (SPD) legte zusammen mit Fabian von Köppen von der Garbe Immobilen-Projekte GmbH und Jörg Soehring, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung den symbolischen Grundstein des Gebäudes. Letzterer will rund 4000 Quadratmeter des Gebäudes mit der Deutschen Wildtierstiftung belegen – daher auch der ursprüngliche Name "Wildspitze".

Tschentscher ist sich sicher, dass das Holzhaus ein Beispiel für nachhaltigen Häuserbau in Städten ist. "Roots" soll eines der modernsten und nachhaltigsten Wohn- und Bürogebäude in Deutschland sein. Rund 128 der 181 Wohnungen auf rund 20.600 Quadratmetern werden als Eigentumswohnungen vermarktet, 53 Wohnungen von der öffentlichen Hand mitfinanziert. 80 Prozent aller Wohnungen sollen aber bereits vergeben sein. (olb)

Hafencity: Richtfest für höchstes Holzhaus Deutschlands

Stand: 23.08.2023 18:03 Uhr

In der Hamburger Hafencity hat am Mittwoch ein großes und komplett ungewöhnliches Bauwerk Richtfest gefeiert. Das Gebäude "Roots" ist nach Angaben des Immobilienentwicklers Garbe mit 19 Stockwerken und einer Höhe von 65 Metern das derzeit höchste Holzhochhaus Deutschlands.

"Roots" ist das englische Wort für "Wurzeln". Das Haus wird bis auf den Sockel und die unteren Geschosse komplett aus Holz gefertigt. 5.500 Kubikmeter Nadelholz haben Zimmerleute verbaut. Durch das Holz konnten im Vergleich zu konventionellen Bauweisen rund 3.500 Tonnen CO2 eingespart werden. Das Gebäude gilt als Musterbeispiel der Nachhaltigkeit. Garbe-Geschäftsführer Tobias Hertwig dankte den beteiligten Firmen und Handwerkerinnen und Handwerkern, die "mit ihrem Mut sowie ihrer Handwerkskunst bewiesen haben, dass man mit Holz in die Höhe bauen kann und es sich lohnt, neue Wege zu gehen". Man freue sich, "mit dem heutigen Tag unserer Vision einer nachhaltigen Projektentwicklung einen großen Schritt näher gekommen zu sein", so Hertwig.

181 Wohnungen entstehen im "Roots"

Im "Roots" entstehen 181 Wohnungen - 128 Eigentumswohnungen und 53 öffentlich geförderte Mietwohnungen. Die Mietwohnungen befinden sich allerdings in einem sechsgeschossigen Nebengebäude auf dem Grundstück. Fast alle Eigentumswohnungen sind etwa neun Monate vor dem Einzug schon verkauft, die Sozialwohnungen ebenfalls bereits vermietet.

AUDIO: Ungewöhnliches Bauwerk "Roots" feiert in der Hafencity Richtfest (1 Min)

Entworfen wurde das Projekt vom Hamburger Architekturbüro Störmer Murphy and Partners. Der Entwickler Garbe will mit dem Haus zeigen, wie nachhaltiger und klimafreundlicher gebaut werden kann. Die Vorarbeiten laufen bereits seit 2020. Im September 2021 wurde der Grundstein gelegt. Im Mai 2022 wurden die ersten Holzelemente montiert. Sie wurden von einer Südtiroler Holzbaufirma millimetergenau im Werk vorgefertigt und auf der Baustelle Stück für Stück zusammengefügt.

Holz bei größeren Wohngebäuden bislang die Ausnahme

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte das "Roots" zur Grundsteinlegung als eines der modernsten und nachhaltigsten Wohn- und Bürogebäude Deutschlands bezeichnet. Holz gilt als effektiver CO2-Speicher, weil Bäume im Laufe des Wachstums große Mengen des klimaschädlichen Gases speichern. Zwar ist der Baustoff Holz bei Ein- oder Zweifamilienhäusern inzwischen verbreitet, bei größeren Wohngebäuden bislang aber eher die Ausnahme.

Die Kosten des Projekts wurden zuletzt mit 140 Millionen Euro angegeben. In dem Hochhaus hat sich die Deutsche Wildtier Stiftung vier Etagen gesichert. Sie plant dort unter anderem eine Ausstellung über heimische Wildtiere.