Antrag bzw. Stellungnahme der Agenda21 Pullach zum Entwurf des geplanten BBP/FNP 23b im Rahmen des 3. Verfahrens zur Beteiligung der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 2 BauGB) vom 16.04.2022

Antrag bzw. Stellungnahme der Agenda21 Pullach zum Entwurf des geplanten BBP/FNP 23b im Rahmen des 3. Verfahrens zur Beteiligung der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 2 BauGB)
vom 16.04.2022

 

 

 

 

Vorbemerkung:

  • Die Agenda21 bittet, diesen Antrag zugleich als Stellungnahme im Rahmen der
    3. Beteiligung der Öffentlichkeit am Bauleitplanverfahren zur geplanten Änderung des Bebauungsplans/Flächennutzungsplan 23b (United Initiators) zu werten.
     
  • Dieser Antrag bzw. Stellungnahme wird von der Agenda21 vorsorglich zur Wahrung der Auslege-Frist gestellt bzw. eingereicht, obwohl in der öffentlichen Auslegung die Ergebnisse der Verhandlungen zum verfahrensbegleitenden Städtebaulichen Vertrag nicht vorgelegt wurden. Wie bereits dargelegt, ist der Städtebauliche Vertrag gemäß §11 BauGB, gestützt durch Rechtskommentare zum BauGB (Krautzberger/Battis/Löhr) ein wesentlicher Bestandteil der Bauleitplanung und muss nach §3 BauGB zumindest inhaltlich in der auszulegenden Begründung zur Änderung des Bebauungsplans 23b wiedergegeben werden. Die Unterscheidung zwischen „verfahrensersetzender“ und „verfahrensergänzender“ Vertragsinhalte bezüglich der nach §3 BauGB geforderten Unterrichtung der Öffentlichkeit ist nicht im Baugesetzbuch definiert und hat dort keine rechtliche Grundlage. Im Interesse einer möglichst transparenten Information und Beteiligung der Öffentlichkeit und der Rechtssicherheit des Bauleitplanverfahrens sollte deshalb der Auslegungsprozess ausgesetzt bzw. erneut eingeleitet werden, sobald der Städtebauliche Vertrag abgeschlossen ist.
     
  • Der von uns bereits in früheren Stellungnahmen/Anträgen empfohlene Städtebauliche Vertrag ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, mit dem verbindliche Vereinbarungen über die geplante Nutzung des Bebauungsgebiets zwischen Gemeinde und Eigentümer über einen Bebauungsplan hinaus getroffen werden können. Reine Absichtserklärungen der beteiligten Parteien im Sinne einer sog. „Basisvereinbarung“, wie angekündigt, entsprechen keinesfalls Sinn und Zweck eines Städtebaulichen Vertrags, haben keine rechtliche Grundlage im BauGB und sind damit nutzlos.
     
  • In Beschluss des Gemeinderats vom 22.2.2022 wird die Ablehnung unserer Anträge bzw. Stellungnahmen vom 8.9.2021 u. a. überwiegend damit begründet, dass zu unseren Einwänden Vereinbarungen im Rahmen eines Städtebaulichen Vertrags getroffen würden. Ohne inhaltliche Kenntnis dieser Regelungen ist unsere vorliegende Stellungnahme unvollständig und daher als vorläufig zu betrachten.

Wir beantragen bzw. nehmen Stellung zu folgenden Punkten:
 

1. Keine Mehrung der industriell nutzbaren Flächen:
Wir sprechen uns weiterhin mit Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen der Pullacher Bürger gegen eine Erweiterung des Betriebs der United Initiators über den Rahmen des Logistik-Konzepts BigWings (Zusammenführung mehrerer Lagerstandorte mit einer definierten Erhöhung der Lagerkapazität, Erneuerung des sanierungsbedürftigen Lager- und Versandbereichs) aus. Eine Erweiterung des Betriebs wird aus unserer Sicht durch die vorliegende Änderung des Bebauungsplanentwurfs ermöglicht und vorbereitet. Diese Absicht findet sich an mehreren Stellen in der Begründung zum vorliegenden Entwurf.

Insbesondere lehnen wir eine Mehrung der industriell nutzbaren Fläche um 19 000m2 ab, die sich tatsächlich durch die Umwandlung des bisherigem Gewerbegebiet GE1.2 in ein Industriegebiet GI1.2 ergeben würde, da dadurch eine Erweiterung des Betriebs, insbesondere bezüglich neuer Produktionsanlagen, ermöglicht wird. (Für das Gebiet GI 1.2 war ursprünglich ein biophysikalischen Forschungszentrums, vergleichbar Martinsried, vorgehen.)
So heißt es in der aktuellen Begründung zum BP-Entwurf 23b unter 5.2 „Art der baulichen Nutzung“: „Das Gewerbegebiet GE dient einer langfristigen Erweiterung des Bestandwerkes.“

Antragspunkt 1:
- Die im Bebauungsplanentwurf als Industriefläche G1.2 vorgeschlagene Fläche mit der eingeschränkten Nutzung: „Abwasserreinigung“ bleibt Gewerbefläche GE1.2.
- Der bestehende Bebauungsplan wird diesbezüglich nicht geändert.

 

2. Keine Bebauung bis an die Grundstücksgrenzen
In der Begründung zum vorliegenden Bebauungsplanentwurfs heißt es unter der neu eingefügten Ziff. 5.3: „Um eine flächensparende und kompakte Entwicklung der Baugebiete zu ermöglichen, wird eine Grenzbebauung ermöglicht.“
Eine Mehrung der baulichen Nutzung, die durch eine generelle Zulassung der Bebauung bis an die Grundstücksgrenzen in den Gebieten GI1.1, GI1.2 und GE ermöglicht werden soll, lehnen wir ab. Gemäß der Stellungnahme des Landratsamts vom 28.09.2021, ist diese Festlegung auch nicht erforderlich.
Es sollte auch geklärt werden, ob mit einer generell zugelassenen Grenzbebauung für die Industrie- und Gewerbeflächen die Störfallradien gegenüber benachbarten Wohn- und Gewerbegebieten eingehalten werden.

Antragspunkt 2:
- Die im bestehenden Bebauungsplan festgelegten Abstände der Bebauung zu den Grundstückgrenzen bleiben erhalten.
- Der bestehende Bebauungsplan wird diesbezüglich nicht geändert.

3. Keine Vergrößerung der Höhenmaße

In der Begründung zum vorliegenden Bebauungsplanentwurfs heißt es unter der Ziff. 5.4.1: „Zur Ordnung des G 1.1 sowie zur Erleichterung zukünftiger Erweiterungsmöglichkeiten und Baugenehmigungsanträge ist eine gestaffelte Höhenentwicklung im Bebauungsplan vorgesehen“.

Wir sprechen uns gegen die im Entwurf des aktuell ausgelegten Bebauungsplans festgelegte „ausnahmsweise“ Höhenbegrenzung für alle Baugebiete von bisher gestaffelt 8, 12, 16 und 20 m auf 40 m von Gebäuden incl. Dachaufbauten und freistehenden Produktionsanlagen, sowie Abluftanlagen von bis zu 82 m aus. Diese Änderung ist für die Umsetzung des Logistik-Projekts BigWings nicht erforderlich und bezweckt und ermöglicht nach unserer Ansicht eine erhebliche Erweiterung der Produktion von Gefahrstoffen, die wir ablehnen.
Laut der zur Begründung dieser Maßnahme herangezogenen Stellungnahme des Landratsamts ist lediglich eine Angabe der Höhenbeschränkung für Ausnahmenfälle erforderlich, eine konkrete Maßangabe, wie hier eine effektive Verdoppelung der bestehenden Höhengrenzen wird nicht vorgegeben. Es ist in der Begründung auch nicht definiert, in welchen Fällen eine „ausnahmsweise“ Höhenüberschreitung genehmigt werden soll.
Für uns überraschend ist die Feststellung in der Begründung zur Bebauungsplanänderung Ziff. 5.4.1: „im Bestand bereits zahlreiche Anlagen vorhanden (sind), die die zulässige Höhenentwicklung des bestehenden Bebauungsplans 23 überschreiten“ und die damit aus unserer Sicht mit bestehendem Baurecht nicht vereinbar sind. Wenn in der Vergangenheit etwa bei der Höhe einzelner Gebäude bereits gegen die Vorgaben des bestehenden Bebauungsplans verstoßen wurde, sollte dies nicht nachträglich durch eine entsprechende Änderung im neuen Bebauungsplan legalisiert werden, sondern vielmehr durch eine Rückbauverpflichtung korrigiert werden.

Wir teilen die Bedenken des Isartalvereins, dass eine annähernde Verdopplung der Höhenentwicklung des Chemiebetriebs, wie im vorliegenden Entwurf des Bebauungsplan zugelassen werden soll, mit der umgebenden Landschaft am Rand des Isartal (Natura 2000-Gebiet Oberes Isartal) keinesfalls vereinbar ist.
 

Antragspunkt 3:
- Die bisherige Höhenbegrenzung wird beibehalten.
- Bauliche Anlagen, deren Höhenentwicklung die Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans überschreiten, sind zu reduzieren
- Der bestehende Bebauungsplan wird diesbezüglich nicht geändert.

4. Begrenzung der Produktionsmengen und Lagerkapazitäten:
Wir meinen nach wie vor, dass eine mögliche Erweiterung der elektrochemischen Produktion organischer Peroxide und der Lagerung dieser klassifizierten Gefahrstoffe trotz aller im BImSchG geforderten Sicherheitsvorkehrungen auch mit einer Erhöhung der Störfallwahrscheinlichkeit verbunden ist. Störfälle sind statistisch gesehen, jederzeit möglich.
Eine Begrenzung dieser Kapazitäten ist aus unserer Sicht sinnvoll, da es dem Unternehmen mit den geplanten Änderungen des Bebauungsplanentwurfs allein auf dem Industriegebiet GI 1.1 bereits möglich ist, das vorhandene Potential für eine erhebliche Betriebserweiterung zu nutzen.

Bezüglich der Lagerkapazität kann maximal einer Erhöhung von derzeit 1000 t auf 1600 t (entsprechend der Auflösung der Außenlager) zugestimmt werden. Eine Begrenzung der Produktionskapazität von Gefahrstoffen auf 60.000 t/a ist also aus unserer Sicht und wie mehrfach begründet, zwingend erforderlich.

Mit einer Betriebserweiterung kommen neben einer entsprechenden Steigerung des CO2-, Stickoxid- und Feinstaubausstoßes, mehr Geruchsbelästigung und Industrielärm hinzu.
Ebenso würde auch das Verkehrsaufkommen und speziell der Schwerlastverkehr zunehmen. Laut Unternehmen – vom Landratsamt allerdings nicht bestätigt - ist angeblich bereits eine Erhöhung der Produktionsmenge von derzeit ca. 60.000 t/a auf 136.000 t/a genehmigt.

Antragspunkt 4 a:
Produktionsmengen und Lagerkapazitäten werden über verbindliche Vereinbarungen im Städtebaulichen Vertrag, wie folgt, verbindlich begrenzt:

  • - Die Lagerkapazität soll max. 1600 t betragen,
    - Die Produktionsmenge an Gefahrstoffen darf 60.000 t jährlich nicht überschreiten.

    Antragspunkt 4 b:

  • Die Gemeinde nimmt als am immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren beteiligte Behörde im Rahmen der noch ausstehenden Stellungnahme gegenüber der Genehmigungsbehörde des Landratsamts - wie folgt - Stellung:
    Eine Erhöhung der Lagerkapazität von Gefahrstoffen über 1600 t hinaus wird seitens der Gemeinde abgelehnt.
  • Die vom Unternehmen als angeblich genehmigt bezeichnete Erhöhung der Produktionskapazität auf 136.000 t/a (von derzeit 60.000 t/a) wird seitens der Gemeinde abgelehnt.
     

5. Waldrodungen im Süden der Teilflächen GI 13 und GI 17 des gültigen BBP 23)
Wir halten es auch weiterhin für zwingend erforderlich, dass die im Rahmen von BigWings vorgesehene Rodung von ca. 18 000 m2 Wald im Süden des Werksgeländes unbedingt vermieden wird.
Die angeblich vorgeschriebene „weitgehende“ Ersatzpflanzung bzw. Ersatzaufforstung für dieses Waldstück, ist im Entwurf des Bebauungsplans nicht zu finden.
Diese 1,8 ha Wald haben im Rahmen des dramatisch fortschreitenden Klimawandels durchaus eine klimarelevante Bedeutung und binden jährlich ca. 20 bis 30 t CO2.
Es würde auch Jahrzehnte dauern, um einen vergleichbaren Klimaeffekt durch eine Ersatzpflanzung zu erreichen. Die Versiegelung der gerodeten Fläche im Rahmen der industriellen Nutzung dieser Fläche ist darüber hinaus aus ökologischer Sicht höchst bedenklich und ebenfalls abzulehnen.
Eine Rücknahme des Baurechts auf diesem Teilgebiet kann aus unserer Sicht entsprechend §39 ff BauGB entschädigungsfrei erfolgen.

Das geplante verbesserte Logistik-Konzept (BigWings) kann auch durch Rückgriff auf die bisher nicht vollständig genützte Industriefläche G1.1 (laut Unternehmen nur zu ca. 60% genützt) und unter Einbeziehung von Teilen der westlich gelegen Flächen umgesetzt werden.

 

Antragspunkt 5:

  • Die im derzeit gültigen FNP/BBP 23 als Industrieflächen GI 13 und GI 17 ausgewiesenen Teilflächen werden wieder in die Nutzungsart Wald geändert.
     
  • Die Gemeinde Pullach erteilt als am immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren beteiligte Behörde ihre noch ausstehende Zustimmung zum Antrag auf Nutzung dieser Flächen nicht.

6. Erreichen der Pullacher Klimaziele:
Um die Pullacher Klimaziele und die des Landkreises auch nur annähernd zu erreichen, ist eine umgehende und vollständige Umstellung der Energieversorgung des Werks auf erneuerbare Energieträger bis spätestens 2025 zu erreichen. United Initiators ist immerhin der bei weitem größte Energieverbraucher und CO2-Produzent am Ort und im Landkreis München. Festsetzungen einer Nutzung erneuerbarer Energien sind im Bauleitverfahren nach §9 Abs.1 Nr. 23b möglich.

Die Umstellung der erdgasbasierten Stromgewinnung auf regenerative Energieträger ist inzwischen zudem wegen des von der Bundesregierung angestrebten Ausstiegs aus der Erdgaswirtschaft eine vordringliche  industriepolitische Notwendigkeit.
Gegebenenfalls bereits erzielte Ergebnisse aus den Verhandlungen zum Städtebaulichen Vertrag sind uns nicht bekannt. Unverbindliche Absichtserklärungen des Unternehmens reichen hier aus unserer Sicht keinesfalls aus.
 

Antragspunkt 6:
- Im Städtebaulichen Vertrag ist verbindlich zu vereinbaren, dass der Fremdstrombezug des Werks von ca. 52 MWh bis 2023 auf 100% Ökostrom bis 2022 umgestellt wird.
- Darüber hinaus wird das derzeit erdgasbetriebene Dampfkraftwerk mit einer Leistung von 120.000 MWh bis spätestens 2025 durch 100% regenerativen Strombezug ersetzt.
- Zusätzlich soll die Versorgung mit Prozesskälte, soweit technisch möglich, aus aus geothermischer Wärme erfolgen.

 

7. Pullacher Trinkwasserressourcen:
Der sehr hohe Ressourcenverbrauch von über 4 Mio. m3/a an Quellwasser aus dem Isarhang, überwiegend für Kühlwasser bei der Produktion, soll im Rahmen eines Städtebaulichen Vertrags begrenzt bzw. beendet werden. Die Hangquellen stellen eine wertvolle Trinkwasserreserve für Pullach und die Region dar. (Zum Vergleich: Pullachs jährlicher Verbrauch an Trinkwasser: Ca. 900.000 m3).
Der Bedarf des Werks an Kühlwasser von fast 12 Mio. m3 könnte vollständig mit Wasser aus dem Isarkanal gedeckt werden.
Der Bedarf an Prozesskälte könnte zudem zumindest zum Teil auch über die Fernwärme der IEP abgedeckt werden.
Gegebenenfalls bereits erzielte Ergebnisse aus den Verhandlungen zum SV sind uns nicht bekannt.

Antragspunkt 7:
Im Städtebaulichen Vertrag wird verbindlich vereinbart, dass die Versorgung mit Kühlwasser aus den Isar-Hangquellen auf eine Versorgung aus dem Isarkanal bzw. durch Prozesskälte aus der Geothermie umgestellt wird.

8. Auslieferverkehr von Gefahrstoffgütern auf die Schiene:
Aus ökologischen und Sicherheitsgründen sollte mit dem Unternehmen auch eine Vereinbarung über die Verlagerung des Auslieferverkehrs von Gefahrstoffen vom LKW auf die Schiene getroffen werden.
Gegebenenfalls bereits erzielte Ergebnisse aus den Verhandlungen zum SV sind uns nicht bekannt.

 

Antragspunkt 8:
Im Städtebaulichen Vertrag wird die Umstellung der Auslieferung von Gefahrstoffgütern auf den Schienenverkehr bis 2025 verbindlich vereinbart.

9. Messungen zur Luftreinhaltung:
Im Interesse der Anwohner sollten die Auswirkungen der Emissionen (Stickoxide, Feinstaub etc.)  auf die Luft in der Umgebung des Chemiebetriebs regelmäßig messtechnisch erfasst werden. (Einhaltung der EU-Luftreinhaltungsrichtlinien). Eine Messung der Emissionen an den Abluftkaminen ersetzt keinesfalls die bodennahen Messungen zur Luftreinhaltung außerhalb des Betriebs. Einige auch weiter entfernt lebende Anwohner klagen zudem seit Jahren über schleimhautreizende chemische Abgase in der Umgebungsluft.

Antragspunkt 9:
Im Interesse der Gesundheit benachbarter Anwohner wird die Einhaltung der Luftreinhaltungsrichtlinien (Grenzwerte) in der Umgebung des Werks an mehreren für die Anwohner relevanten Stellen regelmäßig überprüft.

Pullach, 16.04.2022

Für die Agenda21 Pullach
gez. Bert Eisl            gez. Peter Kloeber